Kirchenaustrittswelle im Sog der Katholiken - Ein Kommentar von HG Koch
Minusrekorde überall: Im Jahre 2021 sind 36.500 Evangelische und gut 100.000 Katholiken aus ihrer Kirche ausgetreten. Die Zahlen für 2022 liegen katholischerseits noch nicht vor, in der ELKB ist die Zahl auf gut 48.500 gestiegen, analog dazu dürften es bei der katholischen Kirche mindestens 130.000 werden. Besonders viele Menschen sind nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens für München und Freising im Januar 2022 ausgetreten. Aber eben auch aus der evangelischen Kirche. Eine mir bekannte Fernsehjournalistin sagte, es sei praktisch unmöglich geworden, Kirchenleute in Talkshows zu beteiligen. Die Moderatoren fürchteten die allfällige Missbrauchsdiskussion und laden lieber auch weniger seriöse Personen, aber keine Leute aus den Kirchen mehr ein — so weit, so schlecht. Es gibt mit Sicherheit auch andere, nicht so leicht zu greifende Gründe für die zunehmenden Kirchenaustritte. Bei vielen Menschen geht dem Austritt eine langandauernde Entfremdung voraus, und auch die wirtschaftliche Lage und die Pandemie haben ihren Anteil. Aber es bleibt die Vermutung, dass viele Evangelische wegen der katholischen Kirche ihre Kirche verlassen. Die Kirchenleitenden halten sich vornehm zurück, das zu kommentieren. Man will das gute ökumenische Einvernehmen, zuletzt zwischen Heinrich Bedford-Strohm und Reinhard Marx, nicht belasten. Und natürlich stimmt auch bei Kirchens das Wort Jesu:
„Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!“ Aber wäre es nicht an der Zeit, offensiver klarzumachen, dass die Kritik an der katholischen Amtskirche die evangelische in wesentlichen Punkten nicht trifft? Wenn in der katholischen Kirche ausschließlich Priester und Bischöfe das Sagen haben, ist die evangelische Kirche in ihren Synoden und Kirchenvorständen demokratisch. Wenn die katholische Kirche Teile ihrer Einnahmen und ihres Vermögens nicht offenlegt und in bischöflichen Fonds versteckt, kann in der ELKB der Haushalt bis in den letzten Euro nachvollzogen werden. Wenn in der katholischen Kirche nur Männern „Weiheämter“, und das heißt auch leitende Funktionen, jedoch nicht Frauen zugänglich sind, haben in der ELKB Frauen volle Gleichberechtigung und nehmen die auch wahr. Werden Bischöfe in der katholischen Kirche in einem intransparenten Verfahren vom Papst ernannt, hat die ELKB zwar jüngst erst mit Schwierigkeiten, aber gerade deshalb demokratisch gewählt . Wer die evangelische Kirche in Bayern verlassen will, den kann man nicht hindern, nur hoffen, dass er oder sie eine neue Heimat findet. Aber es sollte aus den richtigen Gründen geschehen und nicht aus den falschen oder schlicht aus Unkenntnis.
HG Koch